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In einem botanischen Garten wird die Haustechnik entsprechend den Pflanzenbedürfnissen ausgelegt.

Begrünter Wolkenkratzer

Bosco Verticale
01.02.2013 |

Wolkenkratzer im Wald versteckt

In einem botanischen Garten wird die Haustechnik entsprechend den Pflanzenbedürfnissen ausgelegt. Die Pflanzen stehen innen, das Gebäude schützt sie. Die Möglichkeiten der Botanik aber vorrangig nutzen und die Haustechnik als Ergänzung betrachten, das wird in einer bislang bei Wolkenkratzern nicht da gewesenen Konsequenz in Mailand realisiert.

Hier stehen die Pflanzen außen und schützen das Gebäude und seine Bewohner – selbst im 20. Stockwerk. Die Rede ist von zwei Wohnhäusern mit 80 und 112 Meter Höhe, deren Fassadenbegrünung  zusammengenommen einen Hektar Wald abbildet. Die Versorgung des senkrecht gestapelten Waldes (Bosco Verticale) erfolgt mit Betriebswasser.

Kühlaggregate kommen bei diesem ehrgeizigen Projekt im Sommer nur zum Einsatz, falls die Verschattung durch die Laubgehölze und die Verdunstungskühlung durch die gesamte Pflanzengesellschaft an der Fassade nicht ausreicht. Es handelt sich bei der Begrünung um 480 große und mittlere Bäume, 250 kleinere Exemplare, 5.000 Büsche, 11.000 Bodendecker und Hängepflanzen. Sie werden nicht mit Trinkwasser, sondern mit Grundwasser versorgt, dem vorher bereits in der Klimazentrale Wärme zur Energieversorgung der Gebäude entzogen wurde. Durch die Bewässerung der Fassadenpflanzen und deren Verdunstungsleistung entweicht bei gleichzeitiger Abkühlung Wasser in die Atmosphäre der regelmäßig zu warmen und zu trockenen Stadt. Ein Effekt mit mehrfacher Synergie: Die Luftfeuchtigkeit steigt, die Temperatur sinkt, der Anstieg des Grundwassers wird gebremst und der Energiebedarf des Gebäudes gesenkt.
 
Die Idee des Bosco Verticale stammt von Stefano Boeri. Als Architekt sucht er nach Möglichkeiten, Städtebau ökologisch und nachhaltig zu verwirklichen. Als Professor an Hochschulen in Mailand, Genua und Venedig lehrt er, dass Bauen ein Miteinander von Mensch, Tier und Pflanze sein soll und sein kann. Das Planungsteam Boeri Studio entwickelte in den Jahren 2006 – 2008 Design und Technik des heute im Bau befindlichen Projekts mit dem klangvollen Namen Porta Nuova Isola. Es liegt in einem innerstädtischen Quartier nördlich des Mailänder Zentrums. Mittlerweile befindet sich das 65-Millionen-Euro-Projekt in der Fertigstellung. Ausführung war für den Zeitraum 2008 – 2013 terminiert. Während die letzten Stockwerke noch konstruiert wurden, waren in den unteren Etagen schon die ersten Bäume „eingezogen“. Alle Pflanztröge sind an eine automatische Bewässerung angeschlossen. Die sollte ursprünglich aus aufbereitetem Grauwasser der Wohnungen gespeist werden. Nun wird das Betriebswassersystem mit Grundwasser versorgt. Im Zuge der Baugrunduntersuchung hat sich ergeben, dass in ca. 20 Meter Tiefe Grundwasser ansteht, das früher von den Fabriken an diesem Standort genutzt wurde. Seit das Industriezeitalter hier vor einigen Jahrzehnten zu Ende ging, stellt man einen kontinuierlichen Anstieg des Wasserspiegels fest. Das veranlasst die Stadtverwaltung, bei Baumaßnahmen die Nutzung des Grundwassers zu empfehlen.

Der Inhalt der Pflanztröge geht mit dem Kauf der Eigentumswohnungen nicht in die Obhut und Verantwortung der Bewohner über. Er ist ein Teil des „Klimasystems Fassade“ und wird deshalb nach einem Wartungsvertrag von Fachleuten betreut. Diese Förster bzw. Gärtner kommen mehrmals im Jahr im Korb von oben eingeschwebt, wie Fensterputzer, mit Hilfe eines an der Dachkante entlang fahrenden Krans.

(Autor und Bildquelle: Klaus W. König)

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